Nachdem das Projekt im Frühjahr 2019 ganz der Dorfschule in den Blue Mountains gewidmet war, ist es nun wieder an der Zeit, den Fokus auf die St. Michael´s Primary School zu richten – anstatt „wilder Bergromantik“, Großstadthitze und -hektik. 30 – 40 Minuten fährt mein Taxi zur Schule. Taxifahrer Mr. Dixon fährt seit über 30 Jahren, kennt unzählige der Einwohner und deren Lebenswege. Menschen, die er als Kinder schon in die Schule gebracht und deren Schulkenntnisse er auf der Fahrt abgefragt hat, fährt er heute zu Meetings, in die Kirche, zum Flughafen… Er kennt jede Straße und jeden Schleichweg. Gleich auf der ersten Fahrt präsentiert er mir stolz und in rasendem Tempo (es gibt noch keine Schlaglöcher!) die „Overhead Bridge“ – eine neu erbaute Brücke auf direktem Weg nach Downtown, wo die Schule ist. Man hat einen herrlichen Blick über den ganzen Hafen, der zu den größten Überseehäfen der Welt zählt.
In der Schule angekommen, erwartet mich außer einem stürmisch-herzlichen Empfang eine große Überraschung: In der Zwischenzeit wurde ein Raum in etwas ruhigerer Lage des Hauses eigens für die Musikstunden gestrichen und eingerichtet, sofern geeignetes Mobiliar aufzutreiben war. Ein großes Schild an der Wand zeigt den Stolz der Schule auf unsere interkulturelle Musikpartnerschaft und würdigt den Einsatz des FILUM.
Schulleiterin Mrs.Campbell-McPherson betont, dass sich die Disziplin und Aufnahmebereitschaft der Kinder durch die Präsenz von Musik im Schulalltag deutlich verbessert. Nicht zuletzt durch den Themenwechsel und die gute Laune, die die Musikstunden mit sich bringen. Ihr großer Wunsch für die Zukunft, dass die Kinder parallel zum regulären Unterricht auch individuellen Instrumentalunterricht bekommen sollen, nimmt mit diesem Raum erste Gestalt an. Die St. Michael`s Primary School ist weit und breit die einzige Grundschule, die ein solches Musikprojekt auf ihre Fahnen schreiben, bzw. Wände heften kann: Im Außenbereich der Schule wurde in der Zwischenzeit eine Wand gestaltet, die das dokumentiert.
Inhalte unseres Projekts
Wie üblich, wurde Neues geübt und bereits Vertrautes wiederholt und im Rahmen des Eltern-Tages vorgetragen. (Mrs. Campbell-Mc.Pherson bei der Ansprache)
Klasse 1: Singen mit dem ganzen Körper
Das kleine englisch-deutsche Kinderlied „Clap, clap, clap your hands…stamp, stamp, stamp your feet…“ regt die Kinder zu großer Phantasie an und der Text wurde sofort kreativ ergänzt. Als hätten sie das Rad neu erfunden, teilen sie mir mit vor Begeisterung weit aufgerissenen Augen ihre neueste Idee mit: „Blink, blink, blink your eyes, Aunty Schirmer!“
Thema der zweiten Klasse ist ein „musikalischer Hausbau“, an dem auch die Zahlen auf deutsch geübt werden können ( „1,2,3 das ist mein Haus, da schau ich zum Fenster raus…“). Auch dieser Hausbau soll fortgesetzt werden und wir sind gespannt, was daraus entsteht!
Die Arbeit am „Lummerlandlied“, Thema der dritten Klasse, wurde bereits im Beitrag „Zurück aus Jamaika“ beschrieben (2018, zu finden im Archiv der Musikschulhomepage). Die Ausarbeitung wird beim nächstmöglichen Projekt fortgesetzt und im darauf folgenden Bericht ausführlich behandelt (Kinder entwerfen eine Lummerland-Flagge).
Klasse 6 und die Stimmgabel
Dass man einen Ton hören kann, ist klar. Aber fühlen?
Zuerst das allgemeine Rätselraten, was das für ein Gerät sein könnte. Vielleicht eine Art Küchen- oder Gartenhilfe? Oder etwas aus einer Arztpraxis? Gar nicht so falsch! Die Stimmgabel wird tatsächlich zur Klang- und Stimmungstherapie eingesetzt (Phonophorese). Großes Staunen und Stille, als sie nicht nur den Ton hören, sondern auch seine Vibration am Körper spüren können.
Das Experimentieren mit verschiedenen Resonanzkörpern tat den Kindern und unserer Stunde offensichtlich gut. Die jamaikanischen Sechstklässler sind oft noch sehr kindlich und wünschen sich derartige Experimente oder auch Spiele mit bunten Jongliertüchern und Lieder, die sie besonders lieben, immer und immer wieder.
Parents Singing Group
Eine Errungenschaft ist die wöchentliche Singgruppe mit einigen Eltern sowie Personal der Schule, das sich dazugesellt hat. Wir singen Lieder, die auch von ihren Kinder gelernt werden, und sie haben nach Überwindung anfänglicher Befangenheit größte Freude daran.
Ob „Bruder Jakob“ oder „Hänschen klein“, ich habe sehr konzentrierte, lachende sowie fröhliche Gesichter vor mir. Wenn in der Bedrängnis des „Ghettolebens“ gesungen und gelacht wird, befinden wir uns auf einem guten Weg. Jeder will dabei sein.
Kärcher, Stihl und „Heilix Blechle“
Auch wenn die Schere zwischen arm und reich noch weit auseinanderklafft, entwickelt sich Jamaika zusehends vom Entwicklungs- zum Industrieland.
Eine neue Highway von Ost nach West, von chinesischen Investoren gebaut, Fastfood- und Supermarktketten aus den USA, Tourismus, Musikindustrie, Export von Bodenschätzen wie Bauxit (Aluminiumerz), Kaffee, Zucker…All das lässt deutlich erkennen, dass Jamaika auf dem Weg zur Industrialisierung ist (Take-off-Country“).
Auch Baden Württemberg ist mit schwäbischen Qualitätsprodukten zugegen: Für Motorsägen von Stihl oder Hochleistungsstaubsauger der Firma Kärcher sieht man in Kingston und anderen Orten große Werbeplakate.
Überhaupt hat der Jamaikaner auffällige Gemeinsamkeiten mit dem Schwaben. Das Auto wird samstags gewaschen und poliert und mit Schildern und Aufklebern vor Einwirkungen von außen verteidigt.
Die Kehrwoche ist kein Thema, weil sowieso tägliche Routine. Es ist der Stolz der Jamaikaner, Haus und Hof reinzuhalten. Wer Jamaika kennt, dem ist das vertraute Geräusch der morgendlich betätigten Hofbesen (ab 5 Uhr, mit lautem Gesang…) bekannt. Nicht zuletzt sei noch die Sparsamkeit erwähnt, eine dort hoch geachtete Tugend.
Zur Realität der Kinder im Umfeld der Schule
Die Kinder leben trotz aller hoffnungsvollen Entwicklungen auf der „Schattenseite“ der Insel. Immer noch in den Wellblechbehausungen, immer noch unterversorgt und fehlernährt, immer noch unter dem Eindruck von Gewalt und Kriminalität.
Es ist unsere Vision, dass sie mit möglichst viel eigener Kraft und Initiative aus der Opferrolle finden. Aber zuerst müssen sie satt sein und so eingekleidet, dass das schmerzhafte Hineinquetschen in längst zu kleine Schuhe keine Option mehr ist. Ein paar einfache Schuhe können sehr preiswert erworben werden. Aber wie, wenn das Geld kaum für ein einfaches Schreibheft reicht?
Deshalb, liebe Leserinnen und Leser, sind Spenden, ob klein oder groß, einmalig oder dauerhaft, eine große Hilfe, diese Kinder „startklar“ zu machen für ein besseres Leben. Auch Patenschaften für Klassen sind eine gute Möglichkeit der Unterstützung. Senden Sie hierzu gerne eine Nachricht an: leonore.schirmer@musikschule-filum.de
P.S.: Anhand von Geschichten und Bildern werden Sie über die Verwendung Ihrer Spende informiert. Sie können so jederzeit an der Freude und Dankbarkeit wie auch an den Fortschritten der Schule teilhaben.
Aus aktuellem Anlass soll die erfreuliche Nachricht nicht fehlen, dass bis heute, 10.4.2020, weder bei Kindern, noch bei Eltern oder Lehrern oder sonstigen Mitarbeitern der Schulgemeinschaft Covid-19 diagnostiziert wurde oder sich Symptome gezeigt haben.
Schulleiterin Mrs.Campbell-McPherson befürchtet allerdings, dass die Kinder mit vielfach negativen Effekten zu kämpfen haben werden, wenn für so lange Zeit der „Schutzraum Schule“ wegfällt. Mit ihrem leidenschaftlichen Statement zu unserer Musikpartnerschaft möchte ich die Schulleiterin in Jamaika zum Schluss des Berichts zu Wort kommen lassen. Im Zusammenhang mit den Folgen der Corona-Krise schreibt sie:
„…The music program can be THAT tool that is used as an emotional and therapeutical healing for them…“
„…Music is the only thing which will heal them faster.“